Willkommen Zuhause 55/2018

Tite lthema 5 Als wir noch klein waren, gab es neben Weihnachten und dem eigenen Geburtstag eigentlich nur noch einen anderen großen Tag, den wir uns herbeigesehnt haben – die Einschulung. Bewaffnet mit einer prall gefüllten Schultüte, den viel zu großen Tornister auf dem Rücken und die stolzen Eltern neben uns in der Aula der Grundschule – so oder so ähnlich dürfte es bei den Meisten ausgesehen haben. Endlich sollte es losgehen! Schreiben lernen, Rechnen lernen und Lesen lernen. Der kindliche Wissensdurst hatte uns gepackt. Aber können wir mit derselben Leichtigkeit auch noch Jahrzehnte später Neues aufsaugen? Ich lerne, also bin ich Kinder wollen lernen. Sie entdecken die Welt um sich herum und haben einen unbändigen Wissenshunger. Außerdem messen sie sich immerzu. Und wenn der Max von nebenan schon bis 100 zählen kann, dann will man das auch können. Und weil Max das Zählen in der Schule gelernt hat, will man auch in die Schule gehen und lernen. Die Einschulung ist dann so etwas wie die Eintrittskarte in die Welt der Erwachsenen – denkt man zumindest mit sechs oder sieben Jahren. Tatsächlich werden in dem Alter bereits viele Weichen für das spätere Leben gestellt und genau das ist ja auch eine der Hauptaufgaben der Institution Schule – die Vorbereitung der Schüler auf das Leben. Aber mittlerweile siegt zuneh- mend die Erkenntnis, dass nur schulische Bildung und maximal noch die Berufs- oder Hochschulbildung anschließend nicht mehr ausreichen. Um in der heutigen Zeit aktiv an der Gesellschaft teil- haben zu können, wird immer mehr davon ausgegangen, dass es eines fortwäh- renden Prozesses des Dazulernens bedarf, dem lebenslangen Lernen. Lernen, weil wir müssen? Lernen, weil wir sollen? Bereits seit den 1970er-Jahren wird diskutiert: Was genau ist lebenslanges Lernen? Damals gingen sogar die Vereinten Nationen dieser Frage im Faure-Bericht nach. Heute versucht man aber eher auf nationaler Ebene, eine Antwort zu finden. Aber bis heute gibt es keine offizielle Definition davon, was lebenslanges Lernen nun eigentlich genau bedeutet oder abdeckt. Die Debatte in Deutschland und Österreich dreht sich meist um Punkte wie die Weiterbildungsangebote im Beruf, mit deren Hilfe man das Gelernte stets auf dem aktuellen Stand hält. Aber auch der ehrenamtliche, freiwillige sowie der private, familiäre Bereich werden zuneh- mend häufiger als lern- oder kompe- tenzfördernde Umgebungen benannt. Eine feste Definition liefert das aber auch noch nicht. Kritiker sprechen beim Konzept vom lebenslangen Lernen vor allem vom Druck auf die Menschen, dass sie sich immer weiter an den technologischen und sozialen Wandel anpassen müssten. Aber auch schon Martin Luther formulierte seine Vision für eine Reformation des christlichen Glaubens als einen Auftrag an die Menschen, das Gewohnte immer wieder zu überdenken. Vermutlich haben beide Seiten Recht. Erfolgreich lernen – auch im Alter Wir wissen nicht, ob Toni Gschwendtner evangelisch ist – aber der frühere Manager aus der Stahlindustrie setzte bereits auf Fortbildungen, als unter Managern noch das Credo galt: „Füh- rungskräfte machen keine Seminare. Sie müssen ihren Job können.“ Rhetorik, Schnelllesen und Gedächtnistechniken waren Punkte, die zwar wichtig für Herrn Gschwendtners Berufsleben waren, bei denen er aber deutliche persönliche Defizite erkannte. Bereits in den 1980er-Jahren besuchte er als einer der Ersten Fortbildungen und Coachings. Heute im Ruhestand, blickt er zufrieden zurück. Seine Bereitschaft, dazu zu lernen, war ein Grundstein seines beruflichen Erfolgs. Entgegen der weitverbreiteten Auffas- sung, Menschen könnten Neues immer schlechter erlernen, je älter sie werden, plädiert Professor Christian Roßnagel von der Jacobs University Bremen für das Weiterlernen. Laut Roßnagel verändert sich bei älteren Menschen im Vergleich zu jüngeren lediglich der Weg zum Lern- erfolg. Wo Junge alles neu erfahren und verarbeiten, da ordnen Alte in einen Wissensberg aus mehreren Jahrzehnten Lebenserfahrung ein. Das wirkt womög- lich schwerfällig und langsamer, aber Studien belegen, dass der Lernerfolg schlussendlich der gleiche ist. Ein Knack- punkt liegt laut Professor Roßnagel vor allem in der Motivation. Wer mit 70, 80 oder gar 90 Jahren zum ersten Mal vor einem Computer sitzt, weiß damit oftmals nicht viel anzufangen. Wenn es aber darum geht, dass die Seniorin oder der Senior durch Videotelefonie via Internet mit dem Enkel in Australien reden möchte, dann ist die Bedienung im Nu erlernt. Promotion mit 80 Alles eine Frage der Motivation also. Bei Doktor Heinz Ulbricht dürfte sich diese kaum gestellt haben. Der pensionierte Lehrer ist nämlich nicht etwa seit Jahr- zehnten schon der „Herr Doktor“ – son- dern erst seit 2005. Damals berichtete sogar das Magazin DER SPIEGEL über den frisch Promovierten. Hatte Herr Ulbricht doch erst mit Beginn seines Ruhestandes begonnen, sich mit den Verschlüsselungstechniken der legen- dären Nazi-Chiffriermaschine „Enigma“ zu beschäftigen. Am Ende dieses Unterfangens stand dann der Doktor- titel – und das im stolzen Alter von 80 Jahren. Man kann also immer weiter lernen und oftmals ist es uns auch gar nicht bewusst, dass wir neues Wissen auf- nehmen, verarbeiten und umsetzen. Wichtig ist nur, dass man sich nicht grundsätzlich gegen Neues sperrt und sich vielleicht auch noch stets einen kleinen Funken der Euphorie der Ein- schulung bewahrt. Dafür gibt es zwar heute keine Schultüte mehr, aber neues Wissen hält immer wieder die eine oder andere Überraschung bereit.

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